Fortsetzung:Über Mister Pieper

Mister Pieper auf dem Ast

Nun ist es fast Frühling geworden und die Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung...

Erst einmal war der Chef gar nicht so begeistert über meinen neuen Freund Lucky.

Wir sind zwar keine Rabauken und knabbern auch keine Bücher oder Papiere an, doch wir lassen halt Federn für zwei und hinterlassen überall unsere Häufchen. Das war ihm halt zuviel.

Also legte er unserer ungefiederten Freundin nahe, sich eine andere Lösung für uns auszudenken. Sie war sich nicht so ganz sicher, was sie machen sollte. Im Bus, in dem sie wohnte war kein Platz. In ihrer Gartenlaube war sie immer nur am Wochenende und die war 30 Kilometer von ihrer Arbeitsstelle entfernt. Und das Benzingeld für das tägliche Pendeln, woher sollte das kommen?

Doch ich hatte etwas anderes vor. Was meine ungefiederte Freundin nicht wusste: Mein Vorbesitzer hatte mich wohl ausgesetzt, weil ich nicht mehr ganz gesund war.

Für mich war das allerdings eine gute  Entscheidung,  denn ich durfte noch einmal voll aufblühen. Meiner ungefiederten Freundin war schon klar, dass ich nicht mehr der Jüngste war. Denn nach jeder meiner Flugrunden machte ich schluckaufartige Bewegungen. Doch mein Alter war ihr egal. Sie wollte einfach, dass es mir gut ging, solange ich lebe.

Ja, nach sechs Monaten kam dann der Tag, an dem es mir nicht mehr so gut ging. Am Wochenanfang bekam ich Durchfall und war für zwei Tage ziemlich neben der Kappe.  Ich kraxelte auf dem Boden meines Käfigs herum und fiepte wie ein Meerschweinchen. In der Mitte der Woche fing mich wieder einigermaßen, doch am Samstag vor dem offiziellen Frühlingsanfang ging es mir wieder schlechter. Es war Zeit mich zu verabschieden. Ich flog meiner ungefiederten Freundin noch einmal auf die Schulter und piepste ihr ins Ohr. Ich ging ihr auf die Hand und gab ihr die Möglichkeit noch ein Abschiedsfoto zu machen.

Mister Pieper auf der Schulter

Dann flog ich zu meinen Freund Lucky setzte mich neben ihn, sagte auch ihm "Tschüss" - fiel vom Ast und war nicht mehr. Meine ungefiederte Freundin wunderte sich, kam um nach mir zu sehen und war geschockt mich regungslos am Boden liegen zu sehen. Erst langsam begriff sie, dass ich gegangen war. Sie nahm mich in die Hand und streichelte mich. Da fühlte sie den Hubbel, eine Verhärtung an meinem Bauch und bemerkte auch eine Verwachsung an meinem Hinterteil.

 

Ja, es ging sehr schnell. Meine ungefiederte Freundin war sehr traurig. Denn ich war etwas sehr Besonderes für sie. Seit dem Tag, an dem sie mich fand,, hat sie sich sehr über mich gefreut. Sie nannte mich das "wundervollste Geschenk",  das ihr auf die Schulter geflogen ist. Ich brachte Heiterkeit und spielerische Leichtigkeit in ihr Leben. Denn wie viele Menschen nahm sie ihre Arbeit viel zu ernst. Dadurch, dass ich im Chefbüro residierte und sie mich fütterte und sich mit mir beschäftigte,  konnte sie sich bei der Arbeit viel mehr entspannen. Und eines weiß ich sehr wohl, seelisch entspannte Menschenkinder sind viel kreativer und lösungsorientierter als verbissene,  sowie verkrampfte. Ich finde, in jedem Büro sollte ein frei residierender Vogel ansässig sein. Menschen, die ein Herz für Vögel haben und unseren quirligen Freigeist akzeptieren,  sind mit großer Wahrscheinlichkeit keine zwangsneurotischen Kontrollfreaks. (Das gilt natürlich nur, wenn sie uns nicht in geschlossene Käfige sperren.) Und wer Kontrollfreaks kennt, weiß, wie sehr sie das Arbeitsklima belasten, indem sie alles ablehnen, was nicht ihren Vorstellungen entspricht.

Doch nun wieder zu meiner ungefiederten Freundin. Glücklicherweise hat sie eine konstruktive Einstellung bezüglich des Todes. Natürlich sind bei ihr nicht gerade wenig Tränen geflossen, denn ich war das Liebste, was sie im Leben hatte. Doch sie hat sich an die alte chinesische Geschichte mit drei lachenden Mystikern erinnert, die sie auch bei der Beerdigung ihres Vaters vorgetragen hatte.

Ich erzähle diese Geschichte einmal in Kurzfassung.
"Es waren einmal drei chinesische Mystiker, die ständig lachend durch die Welt reisten. Sie waren für ihr Lachen und ihre Heiterkeit bekannt. Überall, wo sie hin kamen,  brachten sie auch die anderen Menschen zum Lachen. Und es war ein wirkliches Lachen und kein antrainiertes. 

Die Menschen vergaßen vor lauter Lachen ihre Angst, die Sorgen oder ihre  Profitgier. Doch eines Tages verstarb einer der drei Mystiker. Und die Menschen im Dorf, in dem die Drei gerade verweilten, wunderten sich, warum die beiden Verbliebenen nicht in Trauer verfielen, sondern weiterhin heiter waren. Die beiden Mystiker erklärten ihnen, dass sie ihr ganzes Leben mit ihrem Freund gelacht haben, und ihr Lachen das Abschiedsgeschenk für ihren geliebten Freund sei.


Auch mochte ihr verstorbener Freund nicht nach den gängigen Ritualen beerdigt werden. Seine Anweisung war, mitsamt Kleidern, ohne vorheriges rituelles Bad, verbrannt zu werden. Und so geschah es.
Doch der verstorbene Freund hatte sich noch eine Überraschung ausgedacht. In seinen Kleidern hatte er jede Menge Feuerwerkskörper versteckt und als er auf einen brennenden Holzstoß gelegt wurde,  entzündete sich zur Überraschung aller ein riesiges Feuerwerk. Alle lachten, die beiden Freunde tanzten und mit ihnen das ganze Dorf."


Ich sage jetzt einfach mal: Wer den Tod als Neubeginn betrachtet, der betet nicht die Asche an, sondern gibt das Feuer weiter.

Und so nahm meine ungefiederte Freundin meinen hinterbliebenen Körper und....nein, sie hat mich nicht verbrannt.
Mister Pieper mit Lucky auf dem Ast
Sie holte einen schönen Blumenkübel, legte meinen Körper in ein Papiertütchen, bettete dieses in Erde und pflanzte eine Erdbeerstaude  oben drüber.

Somit gebe ich das Leben zwar nicht in Form von Feuer, jedoch in Form von Erdbeeren weiter. Und in ihrem Herzen trägt meine ungefiederte Freundin mich sowieso.

Und natürlich geht das Leben von meinem gefiederten Freund Lucky auch weiter.

 

Das ist eine weitere Geschichte. Doch ich kann schon eines sagen, es gibt noch einen Wellensittich, der, wie Lucky, erst kürzlich seinen  Partner verlorenen hat.

Blauer Wellensittich sucht Partner

Er heißt Jack und wartet schon auf Lucky. Wie und vor allen Dingen wo die beiden sich finden, erfahrt ihr in der nächsten Geschichte.